© fotos gabriela knoch, würzburg
deutschland – gestern, heute, morgen | so der titel der autorentheatertage am mainfranken theater würzburg, in deren rahmen die installation schwarz rot gold ins foyer des mainfranken theater gekommen ist. die vernissage fand am samstag den 6. juni um 18 uhr im unteren foyer des mainfranken theaters statt. es sprach dr. gert fricke, vorsitzender des freundeskreis kulturspeicher würzburg e.v.
VERNISSAGE „SCHWARZ ROT GOLD“
FALK VON TRAUBENBERG
BEI DEN AUTORENTHEATERTAGEN IM MAINFRANKEN THEATER WÜRZBURG
06.06.2009
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Die Besucher des Mainfrankentheaters stoßen immer wieder auf Probenfotos und denken in aller Regel wenig über den Fotographen nach, auch nicht darüber, wie diese Fotos entstehen, wo sie anschließend bleiben, wer sie ordnet, sammelt und archiviert. Es sei denn man fotografiert selbst und steht vor den Problemen eines Falk von Traubenberg, des Fotografen des Mainfrankentheaters.
Ich darf Sie heute Abend mit einigen einleitenden Worten in sein neues „fotographische Werk“ – neu in Würzburg, fotographisch, wenn man so will –, „Schwarz-Rot-Gold“, einführen.
Falk von Traubenberg ist auch Architekturfotograph und so gezwungen, über Ordnung und Archivierung seiner ständig wachsenden Fotosammlung nachzudenken. Groß geworden mit der analogen Fotographie hat er eine Diasammlung angelegt und diese nach beruflichen und privaten Kriterien geordnet. Das dabei entstandene Archiv ist zunächst eine passive Angelegenheit, Erinnerungen an Architektur, Reisen, Familie, Theater, aufbewahrt in Kästen. Nur bei Bedarf werden Fotos quasi reanimiert, ans Tageslicht geholt, um punktuell Eindrücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu bringen. Der heutigen, digital arbeitenden Fotographengeneration mag dieses Szenario antiquiert und nostalgisch anmuten.
Weshalb fotografieren wir? Natürlich um Eindrücke festzuhalten, um Vergängliches für später zu speichern, vor dem Vergessen zu bewahren. Ohne Betrachter macht das keinen Sinn, erst durch Betrachtung werden eigene Erinnerungen wachgerüttelt, Assoziationen hervor- oder abgerufen. Sehen, Speichern, Erinnern, es ist dieser Prozess, um den es Falk von Traubenberg geht.
Was aber kommt danach? Wer aktiviert das Diamagazin im Kopf, diese Metapher für den Erinnerungsspeicher im zentralen Nervensystem, wie und wann kommt es zu den auf Click abrufbaren Bildern, denen der Betrachter eine eigene Ordnung und Wertung diktieren kann?
Den Künstler Falk von Traubenberg hat zunächst das Thema seiner eigenen akribisch archivierten Dias beschäftigt. Zunächst spielerisch hat er 2002 erstmals Dias in transparente Weckgläser gesteckt oder besser versteckt, ungezielt und willkürlich, und die Weckgläser wieder verschlossen. Der Sinn hinter diesem Tun ist ihm erst allmählich klar geworden. Irgendwann ist es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Diese Dias sind Bruchstücke, sind Mosaiksteinchen, Minidateien unseres Gedächtnisspeichers, jederzeit abrufbar, das Weckglas ein Vehikel auf dem Weg zum Erinnern und Abrufen von Gesehenem und Erlebten.
Die Suche nach dem künstlerisch-konzeptuellen Verstehen und Verarbeiten dieses spielerischen Experimentierens hatte ein Ziel gefunden. Daraus ist 2005 die erste große Installation „Apparategedächtnis“ entstanden. Beeindruckt von der Zahl 8 und der darin verborgenen mathematischen Unendlichkeit hat Falk von Traubenberg handelsübliche 1L-Weckgläser mit jeweils exakt 88 Dias aus seinem eigenen Archiv gefüllt, diese fein säuberlich in 8 Feldern angeordnet und mit Neonröhren beleuchten lassen.
Entstanden sind so Erinnerungen als Einmachware. Aber Weckgläser werden gemeinhin nicht für die Ewigkeit gefüllt. Es ist dieser Widerspruch, der den Künstler reizt, der Unsicherheit, vielleicht Unverständnis aber auch
Spannung beim Betrachter auslöst, wenn Falk von Traubenberg sich entschließt, diese gespeicherte Bilderflut für immer und ewig verschlossen zu halten. Bei dem Betrachter werden Assoziationen geweckt, Gedanken an das eigene Leben, das in Diakästen geordnet oder chaotisch rumfliegend einer Wiedererweckung harrt. Es werden Bilder aus dem Archiv der eigenen Vergangenheit vor dem geistigen Auge wach und bilden einen optischen Abdruck des Erlebten und Gesehenen. Genau das ist die Absicht des Künstlers. Diese Installationen sollen das zentrale Nervensystem des Betrachters stimulieren, Synapsen sollen neu geschaltet werden zu Details einer vielleicht verschütteten oder verdrängten Vergangenheit. Der Künstler Falk von Traubenberg fungiert als Psychologe, gar als heimlicher Psychoanalytiker.
In „Cube I“ hat Falk von Traubenberg das fotographische Lebenswerk eines verstorbenen Freundes als interaktive Vision des Lebens selbst gespeichert. Anonymisierte Rückstände, Überbleibsel eines vergangenen Lebens sind so, vielleicht klarer als jedes Foto, dauerhaft konserviert, verwahrt für die Zukunft. Falk von Traubenbergs luftdicht verschlossene Einmachgläser sind somit die zeitgenössische Variante eines uralten Mumienkultes. So wird Leben sichtbar und bleibt doch unsichtbar.
Kommen wir zur heute im Mittelpunkt stehenden Installation „Schwarz- Rot- Gold“. Eine in ihren Ausmaßen gigantische Angelegenheit ist das. 9 m breit und 2,50 hoch ist dieses aktuelle Werk von Traubenbergs, dazu kommen noch 15 m Neonröhren. Horizontal, in militärisch strenger Ordnung gruppieren sich 216 Einmachgläser an einer Wand. Der Inhalt: gut 20.000 Kleinbilddias. Der Titel suggeriert Deutschland, das Format die republikanische deutsche Fahne, die Bundesrepublik, nunmehr 60 Jahre alt.
Somit scheint es mehr als passend, die diesjährigen Autorentheatertage des Mainfrankentheaters, die unter dem Thema „Deutschland – Gestern, heute, morgen“ stehen, mit dem Gespräch über diese Installation zu beginnen. Es war die Idee von Intendant Hermann Schneider, seinen Theaterfotografen zu bitten, diese Installation erstmals im südlichen Deutschland zu präsentieren. Jetzt ist sie aufgebaut und hat einen Platz gefunden, der wie ein Rahmen wirkt. Jeden Abend strömt das Theaterpublikum daran vorbei, vordergründig angelockt vom Schein der Leuchtstoffröhren, und kann sich seine Gedanken machen über den Sinn, Hintersinn oder Unsinn dieser 216 Einmachgläser.
Der Künstler hatte öffentlich dazu aufgerufen, ihm Dias aus den letzten 50, 60 Jahren zur Verfügung zu stellen. Ungeordnet hat er diese diffusen Erinnerungsstücke eingeweckt, hat sie konserviert und stellt sie zur Schau wie in einem Mausoleum. Deutschland, Deutschland über alles, ist das der Blick auf unser Land? Unser Land, auf das wir so stolz sind, das Land der Fußball- und Exportweltmeister, der Wiedervereinigung und, und, und. Meinungen zu Deutschland kann es so viele und unterschiedliche geben, wie Dias in den Gläsern stecken. Und auch das wieder ist Absicht. Das eigene, persönliche, individuelle Bild ist es, Erfahrungsgeschichte aus Egoquellen, das geschichtsscheue oder auch geschichtsbewusste Erinnern, möchte der Künstler heraufbeschwören. Hauptsache, in dem Kopf des Betrachters werden die Synapsen geschaltet, die zu einem, zu seinem Deutschlandbild führen.
Aber was für ein Bild ist das? Das Grundgesetz hat Deutschland die Demokratie gebracht, aus einer Untertanengesellschaft sind wir zu einer Bürgerdemokratie mutiert. Demokratie als Lebensform. Das Konzept von 1949. Wir, die Bürger dieses Landes, haben es mit Leben erfüllt, und ein dankbarer Blick geht zurück auf die Väter und Mütter dieser Verfassung. Auch das kann man aus dieser Diasammlung herauslesen. Ganz friedlich liegen sie nebeneinander, aufeinander, untereinander. Der schwarze Rahmen stört den roten nicht, und braune Rähmchen sind nicht zu sehen, gehen wahrscheinlich unter in der Flut der übrigen Farben. Fragen bleiben! Steckt da vielleicht doch nur die halbe Wahrheit, das halbe Deutschland in den Gläsern?
Mehr Fragen als Antworten. Dieses Deutschland in unseren Köpfen, doch immer noch zweigeteilt? Wie in der umstrittenen Bilderschau „60 Jahre Bundesrepublik Deutschland “ im Berliner Gropiusbau, wo es nur westdeutsche Kunst gibt. Die Brüchigkeit unseres Erinnerns ist bei aller Kreativität existent. Wenn eigenes Erleben zu Erinnern wird, fungiert das Gedächtnis nicht selten als Filter der geschichtlichen Realität.
Da ist der Staat, der Kunst gern für seine Zwecke benutzt. Da ist aber auch die Freiheit der Kunst, festgeschrieben im Grundgesetz, eine Freiheit, die doch jeden Tag neu erobert werden muss. Eine Einlösung verlorener Hoffnungen mag uns von Traubenbergs Installation nicht versprechen. Kann Kunst uns überhaupt etwas versprechen? „Dies ist Deutschland“ ist die klare Aussage. Dieses Motto lässt sich mit Leben erfüllen. Das kulturelle und politische Konzept in unseren Köpfen ist das eine, ist das aber alles? So viele offene Fragen, verschlossen, noch unerschlossen, wie in den Einmachgläsern. Aber aufgehoben und konserviert für später — nicht für immer.
Dr. Gert Fricke
06. Juni 2009