pop up galerie in konstanz im dezember 2003
Die Weiterverarbeitung des fotografierten Bildmaterials ist auch zentrales Thema der Bildreihe out of focus. Werden dem Betrachter im Falle der »konservierten« Diapositive noch Assoziationsspielräume eröffnet und treten im Falle der Serie interform die Materialität und die Art der Weiterverarbeitung in den Vordergrund, so verfolgen diese Arbeiten eine andere Strategie: Es geht dem Künstler hier um die direkte Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Bildinformation an sich. Wiederum wird dem Betrachter der unverstellte Blick auf das fotografierte Bild verweigert, in diesem Falle mittels digitaler Reduktion der Bildinformation. Hierdurch entstehen unterschied-lichste Abstraktionen analog fotografierter Objekte. Die Bilder der out of focus-Serie 01 erscheinen zunächst als vermeintlich misslungene Fotografien, als verschwommene Aufnahmen. Tatsächlich wurden hier allerdings gestochen scharfe Aufnahmen digital so überarbeitet, dass durch die Reduktion der Bildinformation und anschließendes »Wiederaufblasen« ungewöhnlich atmosphärische Bilder entstanden sind. Lässt sich hier das ursprüngliche Bild zumindest noch erkennen, so verliert sich die Möglichkeit der visuellen Rekonstruktion des ursprünglichen Objekts vollständig in den Bildserien 02 und 03. Im Gegensatz zu den Diapositiv-Installationen gibt der Künstler dem Betrachter hier außerdem keinerlei Hinweis auf das ursprüngliche, fotografierte Motiv. Das jeweilige Ursprungsbild wird in horizontale (02) bzw. vertikale (03) »Streifenbilder« aufgelöst. Diese Arbeiten beeindrucken vor allem durch ihren eigentümlich graphischen Charakter sowie durch ihre bemerkenswert ästhetische Farbintensität.
Beide Aspekte – graphische Komposition und Farbästhetik – spielen in unterschiedlicher Gewichtung vor allem auch im Rahmen der fotomationen eine zentrale Rolle. Diese bestehen aus einzelnen Fotografien die in Sequenzen, mit einer Dauer von ca. 5–10 Minuten, entweder langsam überblendet oder übergangslos montiert und mit Musik kombiniert werden. Das Ergebnis sind mehr oder weniger abstrakte Bild-Tonkompositionen, die sich, als technisches Pendant zum Film, als Fotoanimationen bezeichnen lassen. »Das ruhende Foto (still) wird mittels Elektronik (neu) belebt.«(3) Je nach Abstraktionsgrad eröffnen die Arbeiten dem Betrachter dabei entweder einen mehr oder weniger großen Assoziationsspielraum oder begeben sich in den Bereich Konkreter Kunst. Die Farben und Formen scheinen in einigen Arbeiten – ähnlich wie im Falle der out of focus-Bildreihen 02 und 03 nur noch auf sich selbst zu verweisen.
Auf der einen Seite des Spektrums an Darstellungsmöglichkeiten befinden sich die beiden fotomationen blumen für inge und nigthwalk – autonomie des lichts. Von Traubenberg abstrahiert bei Ersterer die Fotografie eines Tulpenstraußes auf unterschiedliche Weise, indem er z.B. die Bildinformation reduziert oder das Bild invertiert, kehrt jedoch immer wieder zu einem erkennbaren Motiv zurück. Die fotomation entstand im Juli 2003, sie besteht aus 25 Abstraktionen desselben Bildes, die extrem langsam überblendet werden – auf eine Dauer von 11 Minuten und 45 Sekunden. Die Variationen des Bildes bewegen sich hierbei von einfachen Farbveränderung bis hin zu vollständiger Auflösung in graphische Farbfelder. Hierdurch werden dem Betrachter die Möglichkeiten digitaler Nachbearbeitung auf ästhetische Weise vor Augen geführt.
Der Abstraktionsgrad der ebenfalls im Juli 2003 entstandenen fotomation nightwalk – autonomie des lichts ergibt sich hingegen nicht aus einer digitalen Nachbearbeitung der insgesamt 26 Bilder, die auf die Dauer von 9 Minuten 30 Sekunden langsam überblendet werden. Vielmehr schafft der Künstler hier abstrakte Fotografien durch den experimentellen Umgang mit der Kamera. Mit Hilfe langer Belichtungszeiten und der Art der Kamerabewegung »dokumentiert« von Traubenberg ästhetisch faszinierend einen nächtlichen Streifzug durch die Stadt, bei welchem das Licht zum prominenten Blickobjekt erhoben wird. Hierbei steht vor allem das Resultat im Vorder-grund, die Kenntnis des Betrachters über die Art der Kamerabewegung ist irrelevant. Von Traubenbergs ästhetische Visualisierungen seines nächtlicher Streifzugs bewegen sich damit ähnlich wie die »Seismographics« Hubert Kretschmers (4), jedoch durch die Weiterverarbeitung im Rahmen der fotomation zusätzlich dynamisch gesteigert, in einem Bereich »zwischen hoher Abstraktion und vibrierender Wirklichkeit« (5).
Demgegenüber bleibt dem Betrachter im Falle der extrem graphischen Arbeiten, wie z.B. der fotomation farb raum bewegung – vergleichbar zu den der Bildserien 02 und 03 der Reihe out of focus – das ursprüngliche Bildmotiv, der eigentliche Bezug zur Realität vollkommen verborgen. Die Arbeit entstand im Oktober 2003 und setzt sich aus 16 Variationen desselben Ausgangsbildes zusammen, die auf die Dauer von 6 Minuten 30 Sekunden überblendet werden. Durch die extreme Abstraktion des Ausgangsbildes in geometrische Farbmuster begibt sich diese Arbeit in den Grenzbereich zur Konkreten Kunst. Hier wird das Werk aus Farben und Formen gestaltet, die nur für sich selbst stehen und keine direkte Anlehnung an die Natur enthalten. Da von Traubenberg nicht auf das ursprüngliche Bildmotiv – ein Portrait seiner Frau – von farb raum bewegung hinweist, entsteht damit der Eindruck einer rein ungegenständlichen, einer konkreten Arbeit, in der Formen und Farben lediglich auf sich selbst verweisen. In diesem Spannungsfeld erfüllt sich die Strategie der fotomation, den Bezug zwischen Fotografie und Realität in Frage zu stellen, indem von Traubenberg die Bildinformation so weit reduziert, dass sich die vorhandene Verbindung zum real existierenden Objekt der Wahrnehmung zwar entzieht, faktisch jedoch vorhanden ist.
Im völligen Kontrast hierzu steht die im Juni 2003 entstandene und damit älteste fotomation des Künstlers bauen im thurgau. Diese ist das Resultat einer Auftragsarbeit im Rahmen der Publikation Bauen im Thurgau (6), für welche unter anderem von Traubenberg die Architekturfotografien lieferte. Die fotomation ist eine Art Resümee dieser Arbeit, sie liefert mittels 54 Bildern Eindrücke von der Natur und Architektur des Schweizer Kantons Thurgau. Diese fotomation ist mit 12 Minuten 30 Sekunden die längste und baut sich vorrangig aus rein gegen-ständlichen Fotografien auf. Formal gesehen ist sie jedoch primär ein Spiel mit Formen, Linien und hell-dunkel Kontrasten. Der Künstler arbeitet hier mit Kompositionsprinzipien, die eine Bezeichnung als reine Dokumentation, jenseits künstlerischen Anspruchs, nicht zulassen. Vielmehr tritt die dokumentarische, gegenständliche Fotografie hier hinter ihren formalen Bildinhalt insofern zurück, als dieser das primäre Kompositionsprinzip darstellt. Im Kontext der fotomation bauen im thurgau werden gegenständliche Fotografien auf formale Momente reduziert, womit sich das Resultat als abstraktes Arrangement bezeichnen lässt.
Sämtliche bisher beschriebenen Arbeiten Falk von Traubenbergs lassen sich folglich im Feld der abstrakten Fotografie ansiedeln. Was er insgesamt zu veranschaulichen sucht, ist, wie schon erwähnt, eine grundlegende Skepsis gegenüber der dokumentarischen Fotografie, gegenüber ihrem scheinbar objektiven Abbildungs-charakter. Seine Bilder sind gleichzeitig Anstoß und Visualisierung eines Diskurses. Es ist der Versuch, die Dominanz der äußeren Bilder zu durchbrechen, indem seine Arbeiten den Betrachter dazu auffordern, den Blick nach innen zu richten, um eigene Bilder zu imaginieren. Damit stehen seine Arbeiten für eine Abkehr von der Vorstellung einer objektiv wahrnehmbaren Welt und räumen dem subjektiven Blick – der Subjektivität – den vorrangigen Stellenwert ein.
Hinsichtlich seiner Tendenz zur Subjektivität ist es nur konsequent, dass sich der Künstler schließlich selbst zum zentralen Gegenstand seiner Arbeiten macht. Konsequent insofern, als die Selbstdarstellung eine radikale Rückkehr zum Subjekt darstellt. Was hier thematisiert wird, ist jedoch ebenfalls eine grundlegende Skepsis gegenüber der Fotografie als mediatisiertem, dokumentarischem Pendant zur Realität. Die selbstreflexiven Arbeiten des Künstlers stehen in der Tradition der »body art« und »Ich-Kunst«, welche sich mit dem Verhältnis zwischen Werk und Künstler auseinander setzen. Von besonderem Interesse ist hierbei häufig das Gesicht als Zentrum der Person; darüber hinaus integriert das Antlitz des Entgegenblickenden den Betrachter, lädt ihn zu einem Dialog mit dem Künstler ein (7). Der Körper – vor allem aber der Kopf als Zentrum der Subjektivität – des Künstlers wird in von Traubenbergs Arbeiten so gleichzeitig zum Bildträger, Bildgegenstand und Zugang zum dialogischen Verhältnis zwischen Werk und Betrachter.
Während die im ersten Teil dargestellten fotomationen alle mit sehr langsamen Überblendungszeiten arbeiten, überrascht die fotomation kopfkunst – mindstorm1 durch ihr enormes Tempo. Von Traubenberg montiert hier auf eine Länge von 7 Minuten 30 Sekunden insgesamt 5371 Bilder. Die pulsierende Rhythmik dieser fotomation, welche durch die rasante Regelmäßigkeit der in etwa 12 Bilder pro Sekunde entsteht, wird durch die harten Übergänge zwischen den Bildern zusätzlich verstärkt. Der Eindruck dynamischer Bewegtheit wird hier nicht wie im Film durch eine Verbindung der Bewegung im Bild erreicht, sondern entsteht durch den harten Rhythmus unverbunden aneinander gereihter Bilder. Einziges Bindeglied ist die inhaltliche, die thematische Ebene: Als Ausgangsmaterial verwendete von Traubenberg diverse, teilweise digital nachbearbeitete Selbstportraits. Diese sind durch die enorme Geschwindigkeit für das Auge einzeln kaum mehr erfassbar, vielmehr ergibt sich im Zusammenspiel mit der unterlegten Musik eine Divergenz von emotionaler Bedrückung und faszinierender Ästhetik. Der Betrachter kann nur erahnen, dass der Kopf der Künstlers auf einigen Bildern in Folie eingewickelt auf anderen blutverschmiert zu sein scheint.
Sicherlich erreicht von Traubenberg mit seinen scheinbar auto-aggressiven Selbstdarstellungen nicht die Radikalität anderer Körperkünstler, wie zum Beispiel die Performance-Künstlerin ORLAN, dies ist jedoch auch nicht das erklärte Ziel der Arbeiten. Ähnlich wie in den vorhergehenden fotomationen haben wir es im Falle von kopfkunt – mindstorm 1 vielmehr mit einer ästhetischen Komposition zu tun, die dem Betrachter, in diesem Falle aufgrund ihrer enormen Geschwindigkeit, den unverstellten Blick auf die Bilder verweigert. Hierzu stellen die, teilweise ebenfalls ausgestellten, einzelnen Bilder den konkreten Gegensatz dar. Einige der Selbstportraits, die in die fotomation eingearbeitet wurden, finden sich auch als reine unbewegte und unbearbeitete Fotoobjekte wieder. Es handelt sich hierbei um vier Bilder – Frontal- und Rückansicht sowie zweimal im Profil – auf denen der Kopf des Künstlers blutverschmiert zu sein scheint. Diese Arbeit lässt sich, wie weitere selbstreflexive Arbeiten Falk von Traubenbergs, in die Tradition der künstlerischen Selbstdarstellungen einreihen, welche im Zeichen der Selbstinszenierung und Selbstverfremdung stehen. »Die Skala [dieser Selbstdarstellungen, M.W.] umfaßt Demut und Eitelkeit, Angst und Stolz. Auch die verletzende Entblößung […]. Zum Teil sind das Akte der sado-masochistischen Selbstvergewisserung […].«(8) Der eigene Körper wird hierbei häufig zum Bild-Träger. So auch bei von Traubenberg, der seinen Körper teilweise quasi als Leinwand benutzt, indem er ihn mit unterschiedlichen Materialien einwickelt oder bemalt. Eine andere Variante dieser scheinbar auto-aggressiven Selbstdarstellung sind zum Beispiel jene Fotografien, auf denen der Körper des Künstlers kopfüber von der Decke zu hängen scheint, um den Hals eine schwere Metallkette gewickelt. Die Irritation wird hier dadurch ausgelöst, dass der Körper im Raum zu schweben scheint – die Gesetzte der Schwerkraft scheinen außer Kraft gesetzt zu sein.
Betrachtet man die vorgestellten Arbeiten von Traubenbergs im Zusammenhang, so lässt sich grundsätzlich konstatieren, dass die zentralen Prinzipien des Künstlers zum einen das Mittel der Abstraktion und zum anderen die Irritation der Sehgewohnheiten sind. Der Frage nach einer Entsprechung zwischen Fotografie und Realität wird durch unterschiedlichste Strategien nachgegangen, deren Resultat als Bausteine einer Diskussion zu verstehen sind. Selbst dort, wo ein visueller Bezug zwischen Realität und Bild erkennbar bleibt, wird dieser ad absurdum geführt, indem das Gegenständliche hinter die formale Ebene zurücktreten muss. Der Diskurs, den der Künstler insgesamt zu visualisieren sucht, manifestiert sich in der Betrachtung der Summe aller seiner hier vorgestellten Arbeiten. Diese sind als heterogene Teile eines Ganzen zu betrachten, das sich weniger als ein abgeschlossenes Kontinuum bezeichnen lässt, sondern eher als eine Art Denkprozess, der noch weitergeführt werden kann und wird.
(1) Jäger, Gottfried: Die Kunst der Abstrakten Fotografie, in: Ders. (Hg.): Die Kunst der Abstrakten Fotografie, Stuttgart 2002, S.11–72, hier: S. 18.
(2) Vgl. Jäger, Gottfried: Glossar, in: Ders. (Hg.): Die Kunst der Abstrakten Fotografie, Stuttgart 2002, S. 285–297, hier: S. 296.
(3) Vgl. Jäger, Gottfried: Glossar, in: Ders. (Hg.): Die Kunst der Abstrakten Fotografie, Stuttgart 2002, S. 285–297, hier: S. 296.
(4) Hubert Kretschmers Arbeiten lassen sich insofern mit den Arbeiten Falk von Traubenbergs vergleichen, als er teilweise auf dieselben Formen experimenteller Fotografie zurückgreift. Die »Seismographics«, auf welche hier Bezug genommen wird, entstanden so zum Beispiel ebenfalls durch Langzeitbelichtungen bei bewegter Kamera. Vgl. hierzu die Abbildungen S. 244f., in: Jäger, Gottfried (Hg.): Die Kunst der Abstrakten Fotografie, Stuttgart 2002.
(5) Köhler, Michael: Das ungegenständliche Lichtbild heute, in: Jäger, Gottfried (Hg.): Die Kunst der Abstrakten Fotografie, Stuttgart 2002, S. 214–258, hier: S. 224.
(6) Die Publikation Bauen im Thurgau. Architekturlandschaft des 20. Jahrhunderts ist unter der Herausgeberschaft des Hochbauamtes des Kantons Thurgau 2003 im Verlag Niggli erschienen.
(7) Vgl. hierzu: Düchting, Susanne: Konzeptuelle Selbstbildnisse, Essen 2001, S. 27.
(8) Hofmann, Werner: Vorwort, in: Holsten, Siegmar: Das Bild des Künstlers. Selbstdarstellungen, Hamburg 1978, S. 4f., hier: S. 4.